Zwei zentrale wirtschaftspolitische Themen sind im Koalitionsvertag völlig unterbelichtet: Demokratisierung der Wirtschaft (Stichwort: Mitbestimmung) und Einflussnahme auf die Finanzindustrie.
Mit einer Frauenquote für Aufsichtsräte von großen Aktiengesellschaften greift die Regierung publikumswirksam ein. Allerdings sind die 30 Prozent in einigen Firmen durchaus kein Problem. Überall da, wo viele Frauen beschäftigt sind, meist in schlecht bezahlten Positionen, wie etwa bei der Post, sind schon genügend Frauen im AR. Die Arbeitnehmerseite stellt sie. Die Arbeitgeberseite ist oft stramm mit Männern besetzt. Aber man sollte gespannt sein, wie sich die Unternehmen irgendwann da heraus kaufen wollen, ähnlich wie bei anderen Verpflichtungen. Vielleicht wird in der Umsetzungsverordnung so etwas wie ein Emissionshandel, wie er im Umweltbereich existiert, eingeführt.
Darüber hinaus nimmt an sich nicht viel vor. Damit bleiben ethische Themen in Unternehmen weiter kleingeschrieben. Corporate Governance, die Welt der Hochglanzbroschüren regiert auch in Zukunft die Unternehmen. Außen hui und innen ist es egal.
Echte wirtschaftsdemokratische Weiterentwicklungen konnten in der immer noch von der neoliberalen Ideologie geprägten Wirtschaftsdenke keinen Platz finden. Warum werden nicht mal andere Stakeholdergruppen wie Anwohner, Konsumentenvertreter, Vertreter der Regionen, die in der Vorverarbeitung eine Rolle spielen, mit beteiligt? Man stelle sich vor, dass in der Bekleidungsindustrie die Vertreter der Arbeiter in Bangladesch oder bei den Kaffee-Vermarktern die Bauern aus Südamerika und Afrika hier mit am Tisch säßen.
Vielleicht könnte man auch nur die Rechte der Aufsichtsräte wie sie jetzt sind, erweitern. Denn die Gehälter der Bosse werden regelmäßig von den Arbeitnehmervertretern mit abgesegnet. „Du weißt doch auch, man stimmt da dem zu, dafür kriegen wir etwas anderes“, höre ich die Gewerkschaftskollegen argumentieren. Andere Stakeholder würden da anders reagieren.
Im Bankensektor bleibt man ebenfalls äußerst zahm. Eine müde Transaktionssteuer, die jeden trifft, wird mehr Geld in die Staatskassen spülen. Obwohl mittlerweile klar ist, dass das Bankensystem insgesamt ein öffentliches Gut produziert, weil etwa Kreditversorgung für die Realwirtschaft lebensnotwendig ist und mittlerweile durch die geöffneten Geldschleusen der Zentralbanken von Marktmechanismen keine Rede mehr sein kann, schreckt man vor strengeren Eingriffen zurück.
Weiter jagt ein Skandal denselben, wenn wieder irgendeine Preismanipulation wie etwa des Libor, der Devisenkurse oder des Goldpreises bekannt wird. Dies zeigt, dass die Mentalität, die in vielen Köpfen der Finanzindustrie herrscht, immer noch ungebrochen frühkapitalistisch ist. Verantwortung für etwas über den eigenen Geldbeutel hinaus ist bei den gängigen Anreizsystemen innerhalb von Banken heute selbst für die Gutmeinenden, von denen es sehr viele gibt, nicht möglich. Das System ist anders ausgerichtet. Die große Koalition sieht dies interessanterweise nicht.
Es fängt aber schon im Kleinen an. Ist nicht die Werbung oder Verführung von Menschen zu Konsumentenkrediten, damit sie eine Zeitlang so tun können, als nähmen sie am System teil, an sich schon unethisch? Kein Banker, mit dem ich bisher gesprochen habe, hat je selbst einen Konsumentenkredit wahrgenommen. Zu bewerben, auf Kredit in Urlaub zu fahren oder eine bestimmte Möbelausstattung haben zu müssen, obwohl man sie sich nicht leisten kann, ist gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Fehl-Erziehung. Peter Zwegat lässt grüßen.
Die Finanzindustrie als eine Branche wie andere zu behandeln, lässt sich heute, nachdem man ihr beispielsweise die Altersversorgung der Menschen sehr stark übergeben hat, nicht mehr rechtfertigen.
Im Koalitionsvertrag auf solche Themen Bezug zu nehmen, wäre interessant gewesen. Aber vielleicht beim nächsten Mal.