Jesus als historische Figur, als Mensch, als politischer Botschafter und als Weisheitslehrer
Eine kritische Rezension zum Buch: Josef Ratzinger – Papst Benedikt: Jesus von Nazareth, Herder Verlag, Freiburg 2007
Josef Ratzinger hat sich an ein interessantes Projekt gewagt. Er hat Jesus von Nazareth betrachtet. Wesentliche Grundlage waren dabei für ihn die traditionellen vier Evangelien, aber auch die Verbindung zu anderen Texten des neuen und insbesondere des alten Testamentes. Ratzinger betrachtet wesentliche Stationen in Jesu Leben wie seine Taufe im Jordan, die Bergpredigt und einzelne Wunder. Ebenso sind die bekanntesten Gleichnisse, die Jesus verwendete, Thema. Um die Inhalte zu erfassen zieht er die Ergebnisse der theologischen Diskussionen heran. Josef Ratzinger zeigt sich durch sein ganzes wissenschaftlich-theologisches Leben sehr belesen und argumentiert, wie die theologische Rezeption des Buches auch überwiegend kommentiert, hervorragend auf dem Hintergrund dieses Kontextes. Er entfaltet auch immer wieder interessante Details und Deutungen, die nachdenkenswert sind, wenn man eine innere Beziehung zu Jesus hat. Im Ganzen beschreibt Josef Ratzinger Jesus so wie er zum katholischen Glauben passt. Ich war als „gut katholisch“ erzogen und gebildet an keiner Stelle überrascht. Der Autor Josef Ratzinger definiert sich als persönlich Interessierter an Jesus und nicht als der, der als Papst eine Lehrmeinung vorgibt. Er hat natürlich aber auch seine Rolle als Papst und damit oberster Vertreter und Chef der katholischen Kirche. Dementsprechend stehen auf dem Buchumschlag für den Autor auch beide Bezeichnungen: Josef Ratzinger und Papst Benedikt Dieser Mehrfachbezug aus den Rollen, als persönlich an der Figur Jesus Interessierter, als theologischer Gelehrter und als Oberster der Organisation katholische Kirche ist nicht einfach. An einigen Stellen deutet sich auch seine frühere Organisationsrolle als Glaubenskongregator an. Dem Leser geht oft die Frage durch den Kopf: Als wer schreibt er denn jetzt gerade?
Jesus, die historische Figur
Hier nimmt Josef Ratzinger trotz aller Zweifel über die tatsächliche Person, die er selbst hegt, letztlich Jesus mit den historischen Hinweisen und den neutestamentalischen Schriften so wie es geschrieben steht. Dem kann man folgen. Etwas problematisch ist anzunehmen, dass die Evangelien dadurch Ursprüngliches verbriefen, weil sie ja durch die Kirchengeschichte schon so oft überprüft worden seien. Das schon oft überprüft sein, bürge für die Authentizität. Andererseits haben dadurch natürlich auch schon viele an den Texten gefeilt, was sie nicht von vorneherein authentischer macht. Interessanterweise argumentiert der Dalai Lama über den Gehalt der alten buddhistischen Schriften mit dem gleichen Argument. Diese Logik hat auch etwas für sich, wenn man sie, wie das der Dalai Lama beim Buddhismus tut, auf die Praktikabilität bestimmter Lebensempfehlungen wie die er Meditation bezieht. Man kann das Argument auch für das neue Testament stehen lassen, auch wenn es dem Jesus-Projekt gut getan hätte, wenn der Autor das fünfte Evangelium, das Thomas-Evangelium, einbezogen hätte. Aber das bleibt immer noch verbannt.
Jesus der Einzigartige
Ratzinger sieht die ganze Vorsehung, die ganze Geschichte zwischen Gott und den Menschen auf die Person Jesus zu laufen. Das ist auch das, was die Volkskirche in vielen Ländern den Menschen mitteilte. Ihn in der Kette einiger wenn nicht sogar vieler großer Meister zu sehen, kommt ihm nicht in den Sinn. Er erwähnt Karl Jaspers´ These des Nebeneinanders der großen Religionsgründer. Aber das kann Ratzinger natürlich nicht in seinen Glauben aufnehmen. In dieser offenen Geisteshaltung ist er vermutlich nicht. Er glaubt die Einzigartigkeit Jesu, begründet sie aber nicht. Möglicherweise kann und darf er in seiner Rolle als Chef der auf Jesus sich gründenden Religion auch noch keine integrativere Position einnehmen. Hinzu kommt, dass andere Religionen sich da sicher schnell auf die Füße getreten fühlen würden. Was auf der Strecke bleibt, ist der Vergleich Jesu mit dem, was andere Religionen lehren. Man kann Jesus natürlich wie üblich in der begrenzten Interpretation der jüdischen und christlichen Gelehrten sehen. Darauf fußt Josef Ratzinger in seinem Wissen offensichtlich.
Aber wie soll man Jesus heute einordnen ohne das, was 2000 Jahre vorher schon die Bhagavad Gita, das grundlegende Buch der hinduistischen Religionen sagte. Ebensolches gilt für den ebenfalls vor dem Christentum entstandenen Buddhismus. Stattdessen verbleibt Ratzinger im Bezugsrahmen jüdischer und katholischer Interpretation, in einer Rolle als spiritueller Lehrer zu wenig, mit seiner Rolle als Chef der katholischen Kirche allerdings stimmig. Als Chef der Organisation katholische Kirche kann er vielleicht nicht anders. Er ist aber auch nicht der Mann, der hier den Schneid hat, neben Jesus noch andere große Meister in anderen Teilen der Welt zu akzeptieren, die Gleiches vertreten haben.
Auch die Ergänzung, die Jesus als spiritueller Ideengeber durch den genialen Marketingmann und frühen Globalisier Paulus erfahren hat, bleibt etwas unterbelichtet. Denn vielleicht wäre Jesus ohne die von Paulus geleitete Unabhängigkeit von den jüdischen Riten und damit Öffnung für die „Heiden“ wie so viele andere große Weisheitslehrer einfach in Vergessenheit geraten.
Theologie und Insiderdialoge - Verklärung statt Klärung
Vieles verbleibt bei Papst Benedikt in der internen Diskussion der Theologie, die immer auf dem Rand zwischen Fakten, nachvollziehbarer Interpretation und Glauben tanzt. Im Zweifelsfalle geht Papst Benedikt ins Glauben. Leider kommen die nachvollziehbaren Logiken eindeutig zu kurz. Zu häufig geht es in Richtung der Verklärung. Die übliche verklärende Sprache mit vielen Worthülsen, die auch Gottesdienste oft zu reinen Mantra-Wiederholungen werden lässt, ist auch hier vertreten. Dass Jesus das Heil sei, dass er Fleisch gewordener Geist sei, all das ist einfach keine verständliche Sprache, sondern lässt die Leser allenfalls meditativ entschwinden. Er thematisiert die Liebe, aber auch hier verklärt sich laufend die Sprache. Jesus selbst war hier bedeutend konkreter in seinem Handeln. Josef Ratzinger ist begeistert von Jesus, er hat eine innere Beziehung zu Jesus, das spürt man, aber er kann es nicht deutlich an andere vermitteln, weil an entscheidenden Stellen nicht weitergedacht wird.
Die politische Komponente: Jesus als Sozialrevolutionär
Ratzinger sieht in Jesus Gott zu den Menschen gekommen, so wie es von den Propheten angekündigt war. Er wehrt sich zu Recht gegen einseitige politische Vereinnahmungen Jesu beispielsweise als linker Sozialrevolutionär. Jesus gab eine spirituelle Lehre und keine primär politische. Aber Ratzinger sollte zumindest einräumen, dass vieles, was Jesus sagte, vom Wort her in politischem Sinne interpretiert werden kann. Vor allem aber sprach sein Tun eine eindeutige Sprache. Toleranz und Solidarität mit den Schwachen war das gelebte Programm. Und außerdem ist er ja nicht wegen seiner Religion ans Kreuz gekommen, sondern als Aufrührer, der für sich den Titel Messias, das heißt auch einen Königstitel in Anspruch nahm, was kein in dieser Form verfasstes Staatswesen bisher irgendwann und irgendwo geduldet hat. Ist das Naivität? Die Kirche tut hier gerne so, als wenn es sich um ein Missverständnis handelte.
Und geht nicht auch eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher ins Himmelreich?
Zwar sind einige Sätze im Buch enthalten, die vor einem negativen Kapitalismus und vor Technikfolgeschäden wie am Beispiel Tschernobyl warnen. Insgesamt ist aber hier keine Stellungnahme, an wessen Seite die Kirche im Zweifelsfall gehört. In dieser Richtung ist wenig enthalten. Eher ist eine merkwürdig kritische Bemerkung gegenüber allein materieller Entwicklungshilfe auffällig, weil sonst wenig Politisches explizit formuliert wird. Selbst wenn man außer acht lässt, dass das Wirken der katholischen Kirche in den armen Ländern der Welt in der Geschichte kaum als Muster herhalten kann, fragt man sich, ob der erfolgreiche Theologieprofessor und mittlerweile höchste Hierarch der katholischen Kirche hier Einfühlungsvermögen in die tatsächlichen Bedürfnisse der armen Länder offenbart. Die Güte, die Josef Ratzinger auch in seinen Worten heute manchmal ausstrahlt, wird nicht klar in eine Position für die Benachteiligten und Unterdrückten übersetzt. Hier hat er meines Erachtens Jesus nicht verstanden, sondern ist Opfer seines erfolgreichen Lebens und auch seiner früheren Rolle als Glaubenskongregator, als Erhalter der einer vermeintlich reinen, aber zu wenig am Tun Jesu orientierten Lehre.
Jesus als Mensch
Im Grunde kann Ratzinger Jesus auch nicht als Mensch zulassen. In den Evangelien sind schon einige sehr menschliche, und nicht von vorneherein absolut göttliche Stellen enthalten. Dass Jesus offensichtlich mit seinem Lehren in seinem Heimatort nicht ankam. Dass er häufiger zweifelte und gar nicht so sicher war. Dass er mit Gott in Zwiesprache gehen musste, um sich zu klären. All das wird von Papst Benedikt nicht thematisiert. Er schreibt zwar lange über die Bezeichnungen Sohn und Menschensohn. Aber letztlich sieht er Jesus als unerklärlichen Gott, der Menschengestalt angenommen. War Meister Eckhard, der große deutsche Mystiker des 13. Jahrhunderts, der damals dem päpstlichen Todesurteil nur durch einen früheren natürlichen Tod zuvor kam, schon der Auffassung, dass in jedem Menschen Gott steck, ist Papst Benedikt hier weit davon entfernt. Gott wollte den Menschen durch Jesus zeigen, was wichtig ist. Das ist etwas sehr Nahes und Konkretes. Alles was Benedikt über Jesus nicht weiß und was er nicht versteht, erklärt er jedoch mit dem göttlichen Geheimnis. Tendenziell ist Gott damit außerhalb von uns Menschen, das ist Ratzingers implizite Position.
Jesus in seinen psychologischen Empfehlungen
Umkehren, Freimachen von Sünde, das sind die Programmpunkte von Jesus. Außerdem gibt es Anleitungen in vielerlei Richtungen, sich in Denken und Handeln zu verändern. Dies nicht konkret weiter zu verfolgen, birgt vielleicht die schwächste Seite von Ratzingers Jesusbetrachtung. Der praktische Auftrag, den Jesus einzelnen Menschen gibt, wird nahezu überhaupt nicht betrachtet. Sünde wird eher in moralischen Kategorien als beispielsweise im Verbleiben in einem zu engen Denk- und Verhaltenssystem definiert. Umkehr und Veränderung des Menschen wird eher in der Gefolgschaft zur Kirche gesehen als dass der einzelne Mensch sich entwickeln kann und soll. Dass das Himmelreich schon da ist, aber nicht gesehen wird, wird eher in Richtung Kirche nahe gelegt. Dies kann man von der Rolle als Chef der Organisation wieder verstehen, wird aber dem differenzierten Lehren von Jesus nicht gerecht. Meine Vermutung ist, dass Papst Benedikt diesen Zugang selbst nicht betracht hat. Vermutlich hatte er bei seinem behüteten und erfolgsverwöhnten Leben mit Karriere etc. auch nie den Leidensdruck, der Menschen dazu bringt, etwas bei sich zu verändern. Papst Benedikt bleibt eher staunend und verklärt neben dem Wirken Jesu stehen als sich mit den differenzierten Botschaften drin zu beschäftigen.
Insgesamt ist daher zu sagen: Es ist ein interessantes Buch, weil es zum Nachdenken über die herausragende Figur Jesus, zu der viele Menschen in der Welt einen Bezug haben, anregt. Josef Ratzinger zeigt sich durch sein ganzes wissenschaftlich-theologisches Leben sehr belesen und argumentiert, wie die theologische Rezeption des Buches auch überwiegend kommentiert, hervorragend in dieser Ingroup. Es greift aber in entscheidenden Punkten zu kurz, in dem es verklärt anstatt konkret weiter zu fragen und weiter zu denken. Vielleicht hat Josef Ratzinger in seiner Begegnung mit Jesus weiter gedacht und es wegen seiner anderen Rollen nicht geschrieben
Weiterführende Literatur:
Mohr, G.: Das Kunstwerk Deines Lebens, erscheint 2011.
Eine kritische Rezension zum Buch: Josef Ratzinger – Papst Benedikt: Jesus von Nazareth, Herder Verlag, Freiburg 2007
Josef Ratzinger hat sich an ein interessantes Projekt gewagt. Er hat Jesus von Nazareth betrachtet. Wesentliche Grundlage waren dabei für ihn die traditionellen vier Evangelien, aber auch die Verbindung zu anderen Texten des neuen und insbesondere des alten Testamentes. Ratzinger betrachtet wesentliche Stationen in Jesu Leben wie seine Taufe im Jordan, die Bergpredigt und einzelne Wunder. Ebenso sind die bekanntesten Gleichnisse, die Jesus verwendete, Thema. Um die Inhalte zu erfassen zieht er die Ergebnisse der theologischen Diskussionen heran. Josef Ratzinger zeigt sich durch sein ganzes wissenschaftlich-theologisches Leben sehr belesen und argumentiert, wie die theologische Rezeption des Buches auch überwiegend kommentiert, hervorragend auf dem Hintergrund dieses Kontextes. Er entfaltet auch immer wieder interessante Details und Deutungen, die nachdenkenswert sind, wenn man eine innere Beziehung zu Jesus hat. Im Ganzen beschreibt Josef Ratzinger Jesus so wie er zum katholischen Glauben passt. Ich war als „gut katholisch“ erzogen und gebildet an keiner Stelle überrascht. Der Autor Josef Ratzinger definiert sich als persönlich Interessierter an Jesus und nicht als der, der als Papst eine Lehrmeinung vorgibt. Er hat natürlich aber auch seine Rolle als Papst und damit oberster Vertreter und Chef der katholischen Kirche. Dementsprechend stehen auf dem Buchumschlag für den Autor auch beide Bezeichnungen: Josef Ratzinger und Papst Benedikt Dieser Mehrfachbezug aus den Rollen, als persönlich an der Figur Jesus Interessierter, als theologischer Gelehrter und als Oberster der Organisation katholische Kirche ist nicht einfach. An einigen Stellen deutet sich auch seine frühere Organisationsrolle als Glaubenskongregator an. Dem Leser geht oft die Frage durch den Kopf: Als wer schreibt er denn jetzt gerade?
Jesus, die historische Figur
Hier nimmt Josef Ratzinger trotz aller Zweifel über die tatsächliche Person, die er selbst hegt, letztlich Jesus mit den historischen Hinweisen und den neutestamentalischen Schriften so wie es geschrieben steht. Dem kann man folgen. Etwas problematisch ist anzunehmen, dass die Evangelien dadurch Ursprüngliches verbriefen, weil sie ja durch die Kirchengeschichte schon so oft überprüft worden seien. Das schon oft überprüft sein, bürge für die Authentizität. Andererseits haben dadurch natürlich auch schon viele an den Texten gefeilt, was sie nicht von vorneherein authentischer macht. Interessanterweise argumentiert der Dalai Lama über den Gehalt der alten buddhistischen Schriften mit dem gleichen Argument. Diese Logik hat auch etwas für sich, wenn man sie, wie das der Dalai Lama beim Buddhismus tut, auf die Praktikabilität bestimmter Lebensempfehlungen wie die er Meditation bezieht. Man kann das Argument auch für das neue Testament stehen lassen, auch wenn es dem Jesus-Projekt gut getan hätte, wenn der Autor das fünfte Evangelium, das Thomas-Evangelium, einbezogen hätte. Aber das bleibt immer noch verbannt.
Jesus der Einzigartige
Ratzinger sieht die ganze Vorsehung, die ganze Geschichte zwischen Gott und den Menschen auf die Person Jesus zu laufen. Das ist auch das, was die Volkskirche in vielen Ländern den Menschen mitteilte. Ihn in der Kette einiger wenn nicht sogar vieler großer Meister zu sehen, kommt ihm nicht in den Sinn. Er erwähnt Karl Jaspers´ These des Nebeneinanders der großen Religionsgründer. Aber das kann Ratzinger natürlich nicht in seinen Glauben aufnehmen. In dieser offenen Geisteshaltung ist er vermutlich nicht. Er glaubt die Einzigartigkeit Jesu, begründet sie aber nicht. Möglicherweise kann und darf er in seiner Rolle als Chef der auf Jesus sich gründenden Religion auch noch keine integrativere Position einnehmen. Hinzu kommt, dass andere Religionen sich da sicher schnell auf die Füße getreten fühlen würden. Was auf der Strecke bleibt, ist der Vergleich Jesu mit dem, was andere Religionen lehren. Man kann Jesus natürlich wie üblich in der begrenzten Interpretation der jüdischen und christlichen Gelehrten sehen. Darauf fußt Josef Ratzinger in seinem Wissen offensichtlich.
Aber wie soll man Jesus heute einordnen ohne das, was 2000 Jahre vorher schon die Bhagavad Gita, das grundlegende Buch der hinduistischen Religionen sagte. Ebensolches gilt für den ebenfalls vor dem Christentum entstandenen Buddhismus. Stattdessen verbleibt Ratzinger im Bezugsrahmen jüdischer und katholischer Interpretation, in einer Rolle als spiritueller Lehrer zu wenig, mit seiner Rolle als Chef der katholischen Kirche allerdings stimmig. Als Chef der Organisation katholische Kirche kann er vielleicht nicht anders. Er ist aber auch nicht der Mann, der hier den Schneid hat, neben Jesus noch andere große Meister in anderen Teilen der Welt zu akzeptieren, die Gleiches vertreten haben.
Auch die Ergänzung, die Jesus als spiritueller Ideengeber durch den genialen Marketingmann und frühen Globalisier Paulus erfahren hat, bleibt etwas unterbelichtet. Denn vielleicht wäre Jesus ohne die von Paulus geleitete Unabhängigkeit von den jüdischen Riten und damit Öffnung für die „Heiden“ wie so viele andere große Weisheitslehrer einfach in Vergessenheit geraten.
Theologie und Insiderdialoge - Verklärung statt Klärung
Vieles verbleibt bei Papst Benedikt in der internen Diskussion der Theologie, die immer auf dem Rand zwischen Fakten, nachvollziehbarer Interpretation und Glauben tanzt. Im Zweifelsfalle geht Papst Benedikt ins Glauben. Leider kommen die nachvollziehbaren Logiken eindeutig zu kurz. Zu häufig geht es in Richtung der Verklärung. Die übliche verklärende Sprache mit vielen Worthülsen, die auch Gottesdienste oft zu reinen Mantra-Wiederholungen werden lässt, ist auch hier vertreten. Dass Jesus das Heil sei, dass er Fleisch gewordener Geist sei, all das ist einfach keine verständliche Sprache, sondern lässt die Leser allenfalls meditativ entschwinden. Er thematisiert die Liebe, aber auch hier verklärt sich laufend die Sprache. Jesus selbst war hier bedeutend konkreter in seinem Handeln. Josef Ratzinger ist begeistert von Jesus, er hat eine innere Beziehung zu Jesus, das spürt man, aber er kann es nicht deutlich an andere vermitteln, weil an entscheidenden Stellen nicht weitergedacht wird.
Die politische Komponente: Jesus als Sozialrevolutionär
Ratzinger sieht in Jesus Gott zu den Menschen gekommen, so wie es von den Propheten angekündigt war. Er wehrt sich zu Recht gegen einseitige politische Vereinnahmungen Jesu beispielsweise als linker Sozialrevolutionär. Jesus gab eine spirituelle Lehre und keine primär politische. Aber Ratzinger sollte zumindest einräumen, dass vieles, was Jesus sagte, vom Wort her in politischem Sinne interpretiert werden kann. Vor allem aber sprach sein Tun eine eindeutige Sprache. Toleranz und Solidarität mit den Schwachen war das gelebte Programm. Und außerdem ist er ja nicht wegen seiner Religion ans Kreuz gekommen, sondern als Aufrührer, der für sich den Titel Messias, das heißt auch einen Königstitel in Anspruch nahm, was kein in dieser Form verfasstes Staatswesen bisher irgendwann und irgendwo geduldet hat. Ist das Naivität? Die Kirche tut hier gerne so, als wenn es sich um ein Missverständnis handelte.
Und geht nicht auch eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher ins Himmelreich?
Zwar sind einige Sätze im Buch enthalten, die vor einem negativen Kapitalismus und vor Technikfolgeschäden wie am Beispiel Tschernobyl warnen. Insgesamt ist aber hier keine Stellungnahme, an wessen Seite die Kirche im Zweifelsfall gehört. In dieser Richtung ist wenig enthalten. Eher ist eine merkwürdig kritische Bemerkung gegenüber allein materieller Entwicklungshilfe auffällig, weil sonst wenig Politisches explizit formuliert wird. Selbst wenn man außer acht lässt, dass das Wirken der katholischen Kirche in den armen Ländern der Welt in der Geschichte kaum als Muster herhalten kann, fragt man sich, ob der erfolgreiche Theologieprofessor und mittlerweile höchste Hierarch der katholischen Kirche hier Einfühlungsvermögen in die tatsächlichen Bedürfnisse der armen Länder offenbart. Die Güte, die Josef Ratzinger auch in seinen Worten heute manchmal ausstrahlt, wird nicht klar in eine Position für die Benachteiligten und Unterdrückten übersetzt. Hier hat er meines Erachtens Jesus nicht verstanden, sondern ist Opfer seines erfolgreichen Lebens und auch seiner früheren Rolle als Glaubenskongregator, als Erhalter der einer vermeintlich reinen, aber zu wenig am Tun Jesu orientierten Lehre.
Jesus als Mensch
Im Grunde kann Ratzinger Jesus auch nicht als Mensch zulassen. In den Evangelien sind schon einige sehr menschliche, und nicht von vorneherein absolut göttliche Stellen enthalten. Dass Jesus offensichtlich mit seinem Lehren in seinem Heimatort nicht ankam. Dass er häufiger zweifelte und gar nicht so sicher war. Dass er mit Gott in Zwiesprache gehen musste, um sich zu klären. All das wird von Papst Benedikt nicht thematisiert. Er schreibt zwar lange über die Bezeichnungen Sohn und Menschensohn. Aber letztlich sieht er Jesus als unerklärlichen Gott, der Menschengestalt angenommen. War Meister Eckhard, der große deutsche Mystiker des 13. Jahrhunderts, der damals dem päpstlichen Todesurteil nur durch einen früheren natürlichen Tod zuvor kam, schon der Auffassung, dass in jedem Menschen Gott steck, ist Papst Benedikt hier weit davon entfernt. Gott wollte den Menschen durch Jesus zeigen, was wichtig ist. Das ist etwas sehr Nahes und Konkretes. Alles was Benedikt über Jesus nicht weiß und was er nicht versteht, erklärt er jedoch mit dem göttlichen Geheimnis. Tendenziell ist Gott damit außerhalb von uns Menschen, das ist Ratzingers implizite Position.
Jesus in seinen psychologischen Empfehlungen
Umkehren, Freimachen von Sünde, das sind die Programmpunkte von Jesus. Außerdem gibt es Anleitungen in vielerlei Richtungen, sich in Denken und Handeln zu verändern. Dies nicht konkret weiter zu verfolgen, birgt vielleicht die schwächste Seite von Ratzingers Jesusbetrachtung. Der praktische Auftrag, den Jesus einzelnen Menschen gibt, wird nahezu überhaupt nicht betrachtet. Sünde wird eher in moralischen Kategorien als beispielsweise im Verbleiben in einem zu engen Denk- und Verhaltenssystem definiert. Umkehr und Veränderung des Menschen wird eher in der Gefolgschaft zur Kirche gesehen als dass der einzelne Mensch sich entwickeln kann und soll. Dass das Himmelreich schon da ist, aber nicht gesehen wird, wird eher in Richtung Kirche nahe gelegt. Dies kann man von der Rolle als Chef der Organisation wieder verstehen, wird aber dem differenzierten Lehren von Jesus nicht gerecht. Meine Vermutung ist, dass Papst Benedikt diesen Zugang selbst nicht betracht hat. Vermutlich hatte er bei seinem behüteten und erfolgsverwöhnten Leben mit Karriere etc. auch nie den Leidensdruck, der Menschen dazu bringt, etwas bei sich zu verändern. Papst Benedikt bleibt eher staunend und verklärt neben dem Wirken Jesu stehen als sich mit den differenzierten Botschaften drin zu beschäftigen.
Insgesamt ist daher zu sagen: Es ist ein interessantes Buch, weil es zum Nachdenken über die herausragende Figur Jesus, zu der viele Menschen in der Welt einen Bezug haben, anregt. Josef Ratzinger zeigt sich durch sein ganzes wissenschaftlich-theologisches Leben sehr belesen und argumentiert, wie die theologische Rezeption des Buches auch überwiegend kommentiert, hervorragend in dieser Ingroup. Es greift aber in entscheidenden Punkten zu kurz, in dem es verklärt anstatt konkret weiter zu fragen und weiter zu denken. Vielleicht hat Josef Ratzinger in seiner Begegnung mit Jesus weiter gedacht und es wegen seiner anderen Rollen nicht geschrieben
Weiterführende Literatur:
Mohr, G.: Das Kunstwerk Deines Lebens, erscheint 2011.