Ronald Reng (2010): Robert Enke – ein allzu kurzes Leben, München-Zürich: Piper.
Aus der Perspektive des Psychologen, Volkswirts und Fußballfans gelesen, ist das biographische Buch über Robert Enke sehr interessant. Die Darstellung von Ronald Reng gibt viele Einblicke in das Leben und Leiden des Fußballers und Privatmannes Robert Enke sowie der Menschen und des System um ihn herum. Mit einem außergewöhnlichen körperlichen Talent begabt, tritt er in die Welt des Profifußballs mit ihren besonderen, oft archaischen Geflogenheiten ein. Gleichzeitig unterstützt seine persönliche Struktur dies nicht, da er eine hohe Sensibilität Bewertungen von anderen und vor allem eigenen gegenüber empfindet. Zudem wird er auch als im Kontakt deutlich anders als seine Kollegen beschrieben. So beteiligt er sich an den Jungmännerritualen und -spielen in denn Mannschaften wenig, macht eher sein eigenes Ding. Sobald Druck durch Konkurrenz aufkam, wurde es für ihn schwierig. Wenn dann noch eine als ungerecht empfundene Degradierung dazu kam, beschäftigte ihn das sehr. Er trainierte dann hart und war ein Vorbild an professioneller Leistungseinstellung, aber es nagte innerlich sehr stark an ihm, so dass er seinen Trainingserfolg oft kaum bemerken konnte bis hin zu nicht mehr an der Realität orientierten Eigenkörperwahrnehmungen in hochgradig depressiven Phasen, wenn er etwa seine Muskeln schwinden sah.
Im Grunde bekleidete er aber lange Zeiten die Position des Ersatztorwarts. Er wurde, so liest es sich im Buch von Reng zwar oft in eine vielversprechende Nummer eins Position verpflichtet, fand sich aber dann im Konkurrenzkampf mit anderen wieder. Er drängte sich im Konkurrenzkampf nicht nach vorne, sondern kam aus der zweiten Reihe beim Ausfall des ersten zum Einsatz. Dann galt es: Im Rampenlicht stehen, keine Fehler machen dürfen. Klar, Torwartfehler sind sofort relevant. Die objektive Folgewirkung ist gravierender als beim Mittelfeldspieler. Wenn der Einsatz überraschend eintrat, war es meist kein Problem. Bei entsprechender Vorbereitungs- und Vordenkzeit wurde es problematisch.
Insgesamt beschreibt der Autor die Depression als etwas Rätselhaftes, die eventuell Auslöser hat, aber doch eher wie eine Infektion über jemanden kommt. Traumatische Erlebnisse im Erwachsenenalter werden benannt. So wird auch ein unglücklich verlaufendes Spiel in seiner Zeit in Barcelona gegen einen Drittligisten quasi als traumatische Situation dargestellt. Als eine zweite solche Situation wird sein Aufenthalt bei Fenerbace Istanbul dargestellt. Dass es über die Zusammenhänge und die Entstehung von Depression auch andere Auffassungen gibt wie etwa, dass eine bestimmte sensible Persönlichkeitsstruktur zugrunde liegt, bleibt unberücksichtigt. Die tiefe Angststörung mit der Folge depressiver Episoden macht Sinn auf dem Hintergrund eines messerscharfen, direkten Nebeneinanderliegens von Erfolg und vermeintlichem Gesamtversagen. Die Idee „Wenn ich als Fußballtorwart nicht fehlerfrei bin, bin ich gar nichts mehr“ scheint den Menschen Enke beherrscht zu haben, ebenso wie die Nachhaltigkeit des Erlebens von negativen Bewertungen und Fehlern. Ein ausgeprägter innerer Perfektionismus, begleitet von einem hohen Angstfaktor deutet sich an.
Was eher nebenbei erwähnt wird, sind Enkes Fähigkeiten mit wirklich schweren Lebenssituationen umzugehen. Gerade das Umgehen mit den schwierigen Situationen in seinem Umfeld wie mit der schweren Krankheit seiner Tochter und auch das Sichbeziehen auf Behinderte zeigten, dass Enke gerade hier große Ressourcen hatte. Dies ist für Menschen, die in bestimmter Weise sensibel sind, gar nicht selten. Sie kommen zu ihren Fähigkeiten, wenn tatsächlich schwerwiegende Herausforderungen des Lebens vorliegen. Und hier entsteht ein Widerspruch. Denn zu den wirklich wichtigen Lebenssituationen gehört ein Fußballspiel nicht wirklich, selbst wenn viele Menschen dies mögen, dem zuschauen oder dadurch viele Emotionen entwickeln und ungeheuer viel Geld damit gemacht wird. Selbst als Fußballfan muss man letztlich ein räumen, dass die Welt selbst ohne Profifußball existieren könnte.
Hinzu kommt bei Robert Enke eine ständige Unsicherheitsdynamik, die mit der permanenten Idee zu einem noch besseren, anspruchsvolleren Verein zu müssen, einherging. Die guten, erquicklichen Fußballzeiten wie in Lissabon oder in Teneriffa werden schnell abgelöst. Wer war eigentlich für dieses ständige Produzieren der Unsicherheit in neuen Herausforderungen verantwortlich, das System in dem ein Profifußballer steht oder er selbst, der kein eigenes Bewusstsein hatte, was für ihn wirklich gut und passend war? Das immer wieder aktive Weggehen aus den Situationen, in denen er sich eigentlich wohl gefühlt hat, ist wohl nicht unabhängig vom System Profifußball mit entsprechenden Vereinsstrukturen, Spielerberatern und Medien zu sehen. Zumindest hat ihm das keiner ausgeredet. Denn das, was ihm als Mensch eigentlich gut tat, an einem Ort mit einer überschaubaren Herausforderung zu bleiben und sich gleichzeitig mit anderen wichtigen Themen des Lebens zu widmen, war im nach dem maximalen finanziellen Grenzertrag strebenden Profifussball nicht möglich. Die daraus für die Spieler folgenden physischen und psychischen Grenzbelastung sind der Preis.In manchen europäischen Ländern schien es sogar üblich zu sein den Spielern bei schlechten Leistungen einfach erst mal kein Gehalt mehr zu zahlen. Die erniedrigende Behandlung des Fußballgladiators in manchen Situationen ist nur bei sehr unsensiblem Emotionskostüm auszuhalten.
Er war durch sein inneres, ständig an der Grenze zum Unwohlsein strukturiertes Gemüt möglicherweise anfällig für Verlockungen des "Dort wird es Dir besser gehen". So ging er von Benfica Lissabon und vom CD Teneriffa weg, wo es ihm gut ging, war verlockt, sogar aus Hannover weg zu gehen. Dann sprang er auf den für ihn psychisch fatalen Zug der höheren Aufmerksamkeit in der Nationalmannschaft und des Weltmeisterschaftsanwärters auf. Keiner sagte ihm auf den Kopf zu, dass er ständig seine Grenzen überschritt. Die Maschinerie trieb ihn weiter.
Sätze wie „In seinem Körper schien es einen Bereich zu geben zu dem das lächeln nicht vordrang“, als er an die tote Tochter dachte, richten des Lesers Aufmerksamkeit. Es ist nicht klar was der Autor eigentlich mit dieser Herausstellung bezweckt, da eine solche Reaktion einfach selbstverständlich ist und typisch bei der Erfahrung des Verlustes eines eigenen Kindes. Das ist überhaupt keine depressive Reaktion, sondern eine natürliche Trauerreaktion. Das Interessante ist ja eher, warum er dann immer noch beispielsweise in Hannover den Tanz um das Geld so mitmacht. Die merkwürdigen Sitten die das Fußballgeschäft von innen her prägen ihn schon.
Was zu kurz kommt, ist die Analyse dieses Gladiatorenhandelsaspektes. Die einseitige Identität als Fußballer und das Offensichtliche der Verrücktheiten dieses Systems, dass den Kampf und Konflikt, leichtere oder zivilere Formen des Krieges in symbolisierter Form in der Gesellschaft aufrechterhält, bestimmt meistens noch den Umgang im Profifußballgeschäft. Enke hat sich offensichtlich etwas anderes gewünscht, wurde aber dennoch immer wieder Opfer des Systems. Auch darin zeigt sich keine Störung, sondern ein fortschrittlicher, aber vielleicht einsamer Kulturagent in diesem System.
Antidepressiva sind hilfreich und heute gut entwickelt, so dass sie vielen Leuten Erleichterung verschaffen. Progressive Muskelentspannung als einwesentliches Mittel bei einer deutlichen depressiven Episode erscheint merkwürdig. Die verhaltenstherapeutischen Programme des Spielerberaters und der Ehefrau sind ebenfalls gut gemeint. Mit Psychopharmaka und Betreuungsprogramm hat man in den schweren Zeiten gehofft, sie überstehen zu können. Aber die Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur, die – dem Autor sei es gedankt – auch deutlich wird, oder wirklich gesunder Umfeldbedingungen scheint eher dem Zufall überlassen worden sein. Hier liegt die Aufgabe eher in den guten Zeiten. Diese wurden vermutlich versäumt zu nutzen. Man dachte und hoffte: Fein, der Spuk ist vorbei. Hoffentlich kommt er nicht wieder. Das war möglicherweise zuwenig, wie man im Nachhinein annehmen kann. Wo war die professionelle Stimmen, die ihm gesagt hat: Das ist nicht Dein Platz, obwohl Du ein riesiges körperliches Talent dazu hast. Viele um ihn herum profitierten sich von ihm. und das Schicksal hat ihn in Form von Glanzparaden dazu verführt zu glauben, er könne dieses Spiel mitmachen.
Also das Buch liest sich flüssig, gut geschrieben. Aber es verbleibt in der Logik des heutigen Profisports, der das Kampfideal in der Gesellschaft erhält, vielleicht befördert. Dennoch wissen wir gerade aus jüngster Zeit, dass es immer wieder gesellschaftliche Zustände gibt, von denen viele spüren, dass sie der Welt nicht wirklich gut tun, wenn sie maßlos überdreht sind. Dazu gehörte die Finanzindustrie mit bekanntem Ergebnis. Vielleicht gehört dazu auch der internationale Profifußball, der so viel Geld abwirft, auch weil er eine mächtige Industrie mit hohem archaischem Emotionsanteil drastellt. Letzteres bedeutet, dass es unbewusst ursprüngliche, überlebensnahe Bedürfnisebenen des Menschen anspricht: nicht unterzugehen, nicht zurückgelassen zu werden, eine Identifikation zu haben, sich bei Siegen in Rausch und Euphorie zu fühlen, sich durch den Einsatz der Kämpfer der vermeintlich eigenen Sippe mit Siegen identifizieren zu können. In Deutschland kommt traditionell noch mehr hinzu. Der Krieg verloren, nationale Identifikationssymbole fehlten. Die Weltmeisterschaft 1954 war dann ein Stück Auferstehung, Wir sind doch wieder wer. Die deutschen Tugenden, wie sie im Fußball gerne erwähnt werden, schienen doch nicht so schlecht zu sein. Fußball war seitdem im Gott sei Dank national bescheidenen Deutschland neben der wirtschaftliche Kraft wesentliches Identitätsmerkmal. Und dann noch durch Wiedervereinigung mit den ostdeutschen Fußballern, zu denen auch Enke irgendwie noch gehörte, wagte Beckenbauer den Spruch vom wahrscheinlich lange nicht zu besiegenden deutschen Fußball. Gefühlt sind "wir" ja auch 2006 und 2010 irgendwie so etwas wie Weltmeister geworden.
Aber auch international bedeutet Profisport heute „Brot und Spiele“. Er ist ein wesentlicher Teil der Freizeitbefriedigung der Menschen. Wenn dies in Gesellschaften zum wichtigen Leitprinzip gelangt, zeigt eine kulturelle Epoche ihre Ratlosigkeit. Auch steht der Sport heute gerne als Bildebene Pate in Wirtschaft und Politik. Früher war es eher der Krieg, der die Metaphern hergab, dies ist heute nicht mehr en vogue. Das ist ein Fortschritt. Aber gemeinsam einen Sieg erreichen oder der Größte auf dem Markt sein, gilt es immer noch. Bei jedem zweiten Vertriebsmeeting in großen Firmen gibt ein Sportler seine Erfahrungen als Richtschnur für Firmen weiter. Hier finden die Projektionen aus dem Sport statt. Einfache, simplifizierende Vergleiche finden große Begeisterung. Wirtschaft und Politik zeigen sich gerne mit den erfolgreichen Sportlern, damit vielleicht etwas abfärbt. Die Bedeutung des Profisportes in der Gesellschaft ist riesengroß.
Auch auf diesem Hintergrund ist Enkes Schicksal zu sehen. Es gibt viele, die aus seinem Schicksal etwas lernen können. Wenn jemand sportliches Talent hat, das muss er es doch bis zum Anschlag nützen, so denken die meisten. So eine Chance darf man doch nicht gehen lassen, als wenn der Mensch nicht viel breiter aufgestellt wäre. Das System des Profisport nimmt nicht die Persönlichkeit als Ganzes wahr und zieht hier die richtige Konsequenz. Der Akrobat muss seine Fähigkeit zum Markte tragen. Leicht werden alle seltsam von den Verlockungen und einseitigen Kriterien des Fußballgeschäftes bestimmt.
Ronald Reng (2010): Robert Enke – ein allzu kurzes Leben, München-Zürich: Piper.
Weiterführende Literatur:
Mohr, G.: Das Kunstwerk Deines Lebens, erscheint 2011.
Aus der Perspektive des Psychologen, Volkswirts und Fußballfans gelesen, ist das biographische Buch über Robert Enke sehr interessant. Die Darstellung von Ronald Reng gibt viele Einblicke in das Leben und Leiden des Fußballers und Privatmannes Robert Enke sowie der Menschen und des System um ihn herum. Mit einem außergewöhnlichen körperlichen Talent begabt, tritt er in die Welt des Profifußballs mit ihren besonderen, oft archaischen Geflogenheiten ein. Gleichzeitig unterstützt seine persönliche Struktur dies nicht, da er eine hohe Sensibilität Bewertungen von anderen und vor allem eigenen gegenüber empfindet. Zudem wird er auch als im Kontakt deutlich anders als seine Kollegen beschrieben. So beteiligt er sich an den Jungmännerritualen und -spielen in denn Mannschaften wenig, macht eher sein eigenes Ding. Sobald Druck durch Konkurrenz aufkam, wurde es für ihn schwierig. Wenn dann noch eine als ungerecht empfundene Degradierung dazu kam, beschäftigte ihn das sehr. Er trainierte dann hart und war ein Vorbild an professioneller Leistungseinstellung, aber es nagte innerlich sehr stark an ihm, so dass er seinen Trainingserfolg oft kaum bemerken konnte bis hin zu nicht mehr an der Realität orientierten Eigenkörperwahrnehmungen in hochgradig depressiven Phasen, wenn er etwa seine Muskeln schwinden sah.
Im Grunde bekleidete er aber lange Zeiten die Position des Ersatztorwarts. Er wurde, so liest es sich im Buch von Reng zwar oft in eine vielversprechende Nummer eins Position verpflichtet, fand sich aber dann im Konkurrenzkampf mit anderen wieder. Er drängte sich im Konkurrenzkampf nicht nach vorne, sondern kam aus der zweiten Reihe beim Ausfall des ersten zum Einsatz. Dann galt es: Im Rampenlicht stehen, keine Fehler machen dürfen. Klar, Torwartfehler sind sofort relevant. Die objektive Folgewirkung ist gravierender als beim Mittelfeldspieler. Wenn der Einsatz überraschend eintrat, war es meist kein Problem. Bei entsprechender Vorbereitungs- und Vordenkzeit wurde es problematisch.
Insgesamt beschreibt der Autor die Depression als etwas Rätselhaftes, die eventuell Auslöser hat, aber doch eher wie eine Infektion über jemanden kommt. Traumatische Erlebnisse im Erwachsenenalter werden benannt. So wird auch ein unglücklich verlaufendes Spiel in seiner Zeit in Barcelona gegen einen Drittligisten quasi als traumatische Situation dargestellt. Als eine zweite solche Situation wird sein Aufenthalt bei Fenerbace Istanbul dargestellt. Dass es über die Zusammenhänge und die Entstehung von Depression auch andere Auffassungen gibt wie etwa, dass eine bestimmte sensible Persönlichkeitsstruktur zugrunde liegt, bleibt unberücksichtigt. Die tiefe Angststörung mit der Folge depressiver Episoden macht Sinn auf dem Hintergrund eines messerscharfen, direkten Nebeneinanderliegens von Erfolg und vermeintlichem Gesamtversagen. Die Idee „Wenn ich als Fußballtorwart nicht fehlerfrei bin, bin ich gar nichts mehr“ scheint den Menschen Enke beherrscht zu haben, ebenso wie die Nachhaltigkeit des Erlebens von negativen Bewertungen und Fehlern. Ein ausgeprägter innerer Perfektionismus, begleitet von einem hohen Angstfaktor deutet sich an.
Was eher nebenbei erwähnt wird, sind Enkes Fähigkeiten mit wirklich schweren Lebenssituationen umzugehen. Gerade das Umgehen mit den schwierigen Situationen in seinem Umfeld wie mit der schweren Krankheit seiner Tochter und auch das Sichbeziehen auf Behinderte zeigten, dass Enke gerade hier große Ressourcen hatte. Dies ist für Menschen, die in bestimmter Weise sensibel sind, gar nicht selten. Sie kommen zu ihren Fähigkeiten, wenn tatsächlich schwerwiegende Herausforderungen des Lebens vorliegen. Und hier entsteht ein Widerspruch. Denn zu den wirklich wichtigen Lebenssituationen gehört ein Fußballspiel nicht wirklich, selbst wenn viele Menschen dies mögen, dem zuschauen oder dadurch viele Emotionen entwickeln und ungeheuer viel Geld damit gemacht wird. Selbst als Fußballfan muss man letztlich ein räumen, dass die Welt selbst ohne Profifußball existieren könnte.
Hinzu kommt bei Robert Enke eine ständige Unsicherheitsdynamik, die mit der permanenten Idee zu einem noch besseren, anspruchsvolleren Verein zu müssen, einherging. Die guten, erquicklichen Fußballzeiten wie in Lissabon oder in Teneriffa werden schnell abgelöst. Wer war eigentlich für dieses ständige Produzieren der Unsicherheit in neuen Herausforderungen verantwortlich, das System in dem ein Profifußballer steht oder er selbst, der kein eigenes Bewusstsein hatte, was für ihn wirklich gut und passend war? Das immer wieder aktive Weggehen aus den Situationen, in denen er sich eigentlich wohl gefühlt hat, ist wohl nicht unabhängig vom System Profifußball mit entsprechenden Vereinsstrukturen, Spielerberatern und Medien zu sehen. Zumindest hat ihm das keiner ausgeredet. Denn das, was ihm als Mensch eigentlich gut tat, an einem Ort mit einer überschaubaren Herausforderung zu bleiben und sich gleichzeitig mit anderen wichtigen Themen des Lebens zu widmen, war im nach dem maximalen finanziellen Grenzertrag strebenden Profifussball nicht möglich. Die daraus für die Spieler folgenden physischen und psychischen Grenzbelastung sind der Preis.In manchen europäischen Ländern schien es sogar üblich zu sein den Spielern bei schlechten Leistungen einfach erst mal kein Gehalt mehr zu zahlen. Die erniedrigende Behandlung des Fußballgladiators in manchen Situationen ist nur bei sehr unsensiblem Emotionskostüm auszuhalten.
Er war durch sein inneres, ständig an der Grenze zum Unwohlsein strukturiertes Gemüt möglicherweise anfällig für Verlockungen des "Dort wird es Dir besser gehen". So ging er von Benfica Lissabon und vom CD Teneriffa weg, wo es ihm gut ging, war verlockt, sogar aus Hannover weg zu gehen. Dann sprang er auf den für ihn psychisch fatalen Zug der höheren Aufmerksamkeit in der Nationalmannschaft und des Weltmeisterschaftsanwärters auf. Keiner sagte ihm auf den Kopf zu, dass er ständig seine Grenzen überschritt. Die Maschinerie trieb ihn weiter.
Sätze wie „In seinem Körper schien es einen Bereich zu geben zu dem das lächeln nicht vordrang“, als er an die tote Tochter dachte, richten des Lesers Aufmerksamkeit. Es ist nicht klar was der Autor eigentlich mit dieser Herausstellung bezweckt, da eine solche Reaktion einfach selbstverständlich ist und typisch bei der Erfahrung des Verlustes eines eigenen Kindes. Das ist überhaupt keine depressive Reaktion, sondern eine natürliche Trauerreaktion. Das Interessante ist ja eher, warum er dann immer noch beispielsweise in Hannover den Tanz um das Geld so mitmacht. Die merkwürdigen Sitten die das Fußballgeschäft von innen her prägen ihn schon.
Was zu kurz kommt, ist die Analyse dieses Gladiatorenhandelsaspektes. Die einseitige Identität als Fußballer und das Offensichtliche der Verrücktheiten dieses Systems, dass den Kampf und Konflikt, leichtere oder zivilere Formen des Krieges in symbolisierter Form in der Gesellschaft aufrechterhält, bestimmt meistens noch den Umgang im Profifußballgeschäft. Enke hat sich offensichtlich etwas anderes gewünscht, wurde aber dennoch immer wieder Opfer des Systems. Auch darin zeigt sich keine Störung, sondern ein fortschrittlicher, aber vielleicht einsamer Kulturagent in diesem System.
Antidepressiva sind hilfreich und heute gut entwickelt, so dass sie vielen Leuten Erleichterung verschaffen. Progressive Muskelentspannung als einwesentliches Mittel bei einer deutlichen depressiven Episode erscheint merkwürdig. Die verhaltenstherapeutischen Programme des Spielerberaters und der Ehefrau sind ebenfalls gut gemeint. Mit Psychopharmaka und Betreuungsprogramm hat man in den schweren Zeiten gehofft, sie überstehen zu können. Aber die Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur, die – dem Autor sei es gedankt – auch deutlich wird, oder wirklich gesunder Umfeldbedingungen scheint eher dem Zufall überlassen worden sein. Hier liegt die Aufgabe eher in den guten Zeiten. Diese wurden vermutlich versäumt zu nutzen. Man dachte und hoffte: Fein, der Spuk ist vorbei. Hoffentlich kommt er nicht wieder. Das war möglicherweise zuwenig, wie man im Nachhinein annehmen kann. Wo war die professionelle Stimmen, die ihm gesagt hat: Das ist nicht Dein Platz, obwohl Du ein riesiges körperliches Talent dazu hast. Viele um ihn herum profitierten sich von ihm. und das Schicksal hat ihn in Form von Glanzparaden dazu verführt zu glauben, er könne dieses Spiel mitmachen.
Also das Buch liest sich flüssig, gut geschrieben. Aber es verbleibt in der Logik des heutigen Profisports, der das Kampfideal in der Gesellschaft erhält, vielleicht befördert. Dennoch wissen wir gerade aus jüngster Zeit, dass es immer wieder gesellschaftliche Zustände gibt, von denen viele spüren, dass sie der Welt nicht wirklich gut tun, wenn sie maßlos überdreht sind. Dazu gehörte die Finanzindustrie mit bekanntem Ergebnis. Vielleicht gehört dazu auch der internationale Profifußball, der so viel Geld abwirft, auch weil er eine mächtige Industrie mit hohem archaischem Emotionsanteil drastellt. Letzteres bedeutet, dass es unbewusst ursprüngliche, überlebensnahe Bedürfnisebenen des Menschen anspricht: nicht unterzugehen, nicht zurückgelassen zu werden, eine Identifikation zu haben, sich bei Siegen in Rausch und Euphorie zu fühlen, sich durch den Einsatz der Kämpfer der vermeintlich eigenen Sippe mit Siegen identifizieren zu können. In Deutschland kommt traditionell noch mehr hinzu. Der Krieg verloren, nationale Identifikationssymbole fehlten. Die Weltmeisterschaft 1954 war dann ein Stück Auferstehung, Wir sind doch wieder wer. Die deutschen Tugenden, wie sie im Fußball gerne erwähnt werden, schienen doch nicht so schlecht zu sein. Fußball war seitdem im Gott sei Dank national bescheidenen Deutschland neben der wirtschaftliche Kraft wesentliches Identitätsmerkmal. Und dann noch durch Wiedervereinigung mit den ostdeutschen Fußballern, zu denen auch Enke irgendwie noch gehörte, wagte Beckenbauer den Spruch vom wahrscheinlich lange nicht zu besiegenden deutschen Fußball. Gefühlt sind "wir" ja auch 2006 und 2010 irgendwie so etwas wie Weltmeister geworden.
Aber auch international bedeutet Profisport heute „Brot und Spiele“. Er ist ein wesentlicher Teil der Freizeitbefriedigung der Menschen. Wenn dies in Gesellschaften zum wichtigen Leitprinzip gelangt, zeigt eine kulturelle Epoche ihre Ratlosigkeit. Auch steht der Sport heute gerne als Bildebene Pate in Wirtschaft und Politik. Früher war es eher der Krieg, der die Metaphern hergab, dies ist heute nicht mehr en vogue. Das ist ein Fortschritt. Aber gemeinsam einen Sieg erreichen oder der Größte auf dem Markt sein, gilt es immer noch. Bei jedem zweiten Vertriebsmeeting in großen Firmen gibt ein Sportler seine Erfahrungen als Richtschnur für Firmen weiter. Hier finden die Projektionen aus dem Sport statt. Einfache, simplifizierende Vergleiche finden große Begeisterung. Wirtschaft und Politik zeigen sich gerne mit den erfolgreichen Sportlern, damit vielleicht etwas abfärbt. Die Bedeutung des Profisportes in der Gesellschaft ist riesengroß.
Auch auf diesem Hintergrund ist Enkes Schicksal zu sehen. Es gibt viele, die aus seinem Schicksal etwas lernen können. Wenn jemand sportliches Talent hat, das muss er es doch bis zum Anschlag nützen, so denken die meisten. So eine Chance darf man doch nicht gehen lassen, als wenn der Mensch nicht viel breiter aufgestellt wäre. Das System des Profisport nimmt nicht die Persönlichkeit als Ganzes wahr und zieht hier die richtige Konsequenz. Der Akrobat muss seine Fähigkeit zum Markte tragen. Leicht werden alle seltsam von den Verlockungen und einseitigen Kriterien des Fußballgeschäftes bestimmt.
Ronald Reng (2010): Robert Enke – ein allzu kurzes Leben, München-Zürich: Piper.
Weiterführende Literatur:
Mohr, G.: Das Kunstwerk Deines Lebens, erscheint 2011.